YKSINÄINEN IATU
EINSAME SCHNEESPUR
Für Janosch Vollrath, von Gerhard van der Grinten
zur Vernissage am
27.05.2000

Eine Gewundene Spur auf dem Schnee,
das war meine suchende Wanderung

Betel Gripenberg

Vor allen Dingen liegt die Leere. Denn am Anfang ist alles wüst und leer. Nun, vielleicht eher leer und blank
und weiß: wie ein offenes Blatt Papier, wie frisch gefallener Schnee, ein Universum vor der Schöpfung.
Noch stehen alle Wege offen, doch schon mit dem ersten Schritt, der ersten Spur wird alles anders,
danach ist nichts mehr wie es war.
Der Horror Vacui.
Es ist wohl  weniger der Schrecken vor dem nichts als das bewusste Wagnis, ansetzen zu sollen. Und nichts,
was nicht aus einem selbst entstammt, gibt dafür Leitung; alles Aber, jeder Abdruck, den man hinterlässt,
gleich ob forsch, ob tastend, ernötigt weitere, schließt andere aus.
Und je weiter man fortschreitet, desto geringer die Möglichkeiten, die noch offen stehen, um so zwingender
der letzte Schritt, auf den alles zuläuft.
Was man so hinterlassen hat, zeugt unbestechlich von dem Weg, den man genommen hat: zögerlich oder
unschlüssig, eitel unbedacht und in die Irre, oder besonnen aber und bewusst. Und ob es taugt: je heikler,
je sparsamer es sich gibt, je weniger Worte es gemacht hat.
Was lakonisch erscheint, muss umso
durchgeformter sein, wenn es denn gelten soll. So ist, das einfachste einfach zu sagen, das schwierigste
überhaupt.
    Janosch Vollraths neue Bilder sind das Unterfangen, sich solcherart zu reduzieren, sich zurückzunehmen
auf ein weniges, was in der Fläche klingt, Sie teilt, Ihr – ja durchaus – Wesenhaftigkeit  verleiht. Ohne großen
Farbenglanz, ohne virtuoses Prangen mit den technischen Mitteln die das Malen ihm zur Verfügung stellen
könnte, deren versierte Beherrschung er häufig genug unter Beweis stellte, und mit denen er sich einiges
Ansehen erworben hat.
Malerei in strahlenden Farben, deren unmittelbare Sinnlichkeit überwältigt. Ein Klangrausch, ein lustvolles
Überborden. Der handwerklichen Könnerschaft oder der formalen Durchdringung und Schlüssigkeit
entbehrten sie darum nie, ganz im Gegenteil. Sind bekenntnismäßig Feiern eines Schönheitssinnes, der in
den bildenden Künsten heute viel zu wenig Geltung findet.
Wie doch niemals unreflektiertes Klischee. Eher ein dezidiertes Dennoch gegen eine Kultur, der das Schöne
an sich verdächtig erscheint. Und sie entstammen, wie die Neuen entstehen, aus der Notwendigkeit sie zu
schaffen vor allem und allein.
Wer dieser folgt, dem kann Akklamation nie der Anlass sein, der wird das Unvermutete mit vollem Risiko
wagen müssen. Und sind nicht zuletzt die hier allesamt Ausdruck eines Lebensweges, der alles andere als
Zielgerade immer aufs neue den Verwerfungen des Suchens und des Angehens gegen Wiederstände
unterworfen war.
    Von Herkunft Plastiker und Maler und in beiden Ausgebildet, hat die Malerei für Ihn doch die stärkste
Anziehung, ihr ist er schließlich allem zum Trotz gefolgt und in dem, was seine Arbeit ausmacht, sich selber
immer treu geblieben.
Der erweiterte Horizont aber prägt sich durchaus in die Werke ein. Sei es in der Farbigen Gefasstheit nicht
weniger Skulpturen, sei es das schmuckhafte Element der Malerei. Und bis zu den sterilen Idealen der
Neusachlichen galten Ornament. Dekor und Schmuck ja keinesfalls als belastet oder diskreditiert. Liegt doch
im Dekorieren die Doppeldeutung des Auszeichnens selbst enthalten. Und schmückt man nicht, was einem
teuer ist und wert?
Ornamentale, dekorative Züge, sind in den Rapporten und Wiederholungen der Elemente und Rhythmen, den
Geometrien, der Verwendung von Blattgold als Farbe auf der Leinwand, dem Glanz der reinen Farben als
wären sie Emaille, in der Festlichkeit ihres Charakters.
Diese nun sind verhaltener, auch wenn sie dem Vokabular der anderen entsprechen: Wellenlinienschlag und
Kringel, nerviges Umfahren und Alternieren, Umriss und Aureolen, Kreissegmente und Ihre Durchlichtung,
Strahlenbündel, Lichtbrechung, Farbfeldmalereien, die von ferne an Max Bill, Kandinsky, Robert Delauney
als Paten erinnern mögen. Nun aber ausgelichtet auf ein Weniges im Weiß der Flächen, konzise auf der
Leinwand, diffundierend auf saugfähigen Papieren.
Nicht einmal mehr ein Übereinander im eigentlichen Sinn, eine Modulation der Farbe. Es hat den Anschein,
alles müsste im ersten Angehen seine Endgültige Formulierung gefunden haben. Nicht wild und plakativ,
sonst wär´s nicht über Beiläufigkeit und Raptus hinausgekommen.
Noch das Spontane muss überlegt sein. Denn fehlgegangenes ließe sich nicht übermalen oder tilgen. Zerfällt
aber auch nie in vereinzelte Elemente, vielmehr, dass sich jene fast zeichenhaft verbänden.
Ihr Anlass war, wie für andere Arbeiten, denen technische Objekte, Platinen als Vorwurf ein Gefüge von Linien
und Verbindungen liehen, außerkünstlerisch: Abfahrtsfahrten durch den jungfräulichen Schnee, der hernach
ein Gewirr grafischer Spuren in sich trug, deren Formen hervorgerufen und bestimmt waren vom Rhythmus,
den der Snowboarder in seinen Bewegungen finden muss, um nicht zu stürzen und die Spur zu verlieren.
Ihren Rhythmus zu finden und zu gelingen trägt die Bilder hier an die Grenze des Sagbaren,
macht sie seltsam schwebend und schwerelos beinahe. Und sie  verlangen ein gut Teil Selbstversenkung;
wagt man sie, dann mag man das Leise dahinter hören, dann breiten sich die Bilder über ihre physische
Ausdehnung hinaus mühelos aus in die unentdeckte Weite, jedes ein Universum.
Erfüllt ganz von der Sehnsucht, der Leere ein Gesicht zu geben