SYMPHONIE, MIT FARBENKLAVIER
von Gerhard van der Grinten
Für
Janosch Vollrath

Va', pensiero, sull'ali dorate. (Nabucco)

 

Schönheit hatte in den Künsten Deutschlands von je einen schweren Stand. Das gilt für alle Disziplinen; wo, wenn nicht hier wären darum ein Weber und ein Mendelsohn, ein Offenbach, ein Heine, Wieland Kotzebue und Rückert, ein Makart oder Feuerbach stets einiges schiefer angesehen als anderswo. Hier gilt das Ideal des Wahren - Schönen - Guten bis zur Penetranz, hat das Schöne gleich moralisch zu sein, als wäre denn die Wahrheit immer gut, sie ist im Gegenteil nicht selten schrecklich, geschweige denn sie wäre darum schön. Beuys zitierte, einmal gefragt, wie er es mit der Ästhetik hielte, Augustinus, dass die Schönheit der Glanz des Wehren sei. Da steckt ein sublimes Unterscheiden hinter: der Glanz ist mehr, als Wahrheit leisten könnte. Und er selbst Stadttete seine Werke häufig genug mit einer Schönheit aus, die subtil und brüchig ist - und herzergreifend. Denn große Schönheit ergreift ja tatsächlich, sie berührt, setzt Empfindungen frei, konfrontiert mit einem Gegenüber, das befangen macht. Sich der Beglückung auszusetzen, heißt ja auch, sich aus der Deckung zu begeben.. Vielleicht deshalb vermag man sich hierzulande so schlecht zu amüsieren, so wenig ohne den Anflug des schlechten Gewissens zu genießen; gewiss, da klingt die allgegenwärtige Scham für die jüngere Geschichte mit; doch auch die großen Austreibungen der Sinnlichkeit: die Funktionalismus - Doktrin des Bauhaus, die Verbannung der Konsonanz und der Klänge in der Musik der Neuen Wiener Schule, die letztlich stotternde Sprachlosigkeit der Hermeethiker und Oberlehrerliteraten mit ihrer satten Unzufriedenheit, das artistische Stammeln mithin dreier Generationen Künstler, die dem Bildnerischen ratlos gegenüber stehen, nicht imstande aus sich zu schöpfen und es neu zu füllen und statt dessen Parolen und Programme fabrizieren, Konzepte, an deren Ausführung niemand ernsthaft denkt. Das Missverständnis humanistischer Erziehungstradition, dass, was groß sei, tief sein müsste, breit - und zum Gähnen öde. Tragisch zu sein ist leicht, komisch zu sein, ist schwierig, nichts aber ist so heikel, wie einem Anlass Schönheit zu verleihen. Fast müsste man ein reiner Tor sein heut dafür - oder ein Don Quixote. Denn den Schrecken und Unzulänglichkeiten der Welt etwas entgegenzusetzen, ist ein sehr notwendiges und nicht eben häufiges Gegengewicht. Und hätten die Künste; die alle Freiheit beanspruchen dürfen, nicht vordem das Recht, schön zu sein? Zu prangen mit Bravoura, mit Überschwang, funkelndem Glanz, zu zaubern mit süßer Schlichtheit, Eleganz und Poesie? Es zu verneinen müsste man ein Pharisäer sein, ein im Herzen verkniffener Puritaner, oder beides. Janosch Vollrath malt bekenntnismäßig schöne Bilder. Als sehr bewussten Akt, als ästhetisches Ereignis, als Augenfreude. Und es steht nicht etwa ein verkitscht - naives Weltbild hinter dieser Absicht: im Gegenteil verlief die eigene Biographie, das künstlerische Herkommen alles andere als bruchlos, war suchend, auch bedrängend und hat genügend Bitternisse hinter sich gebracht. Ein Weg mit Nebenwegen, doch ist vitale Notwendigkeit darin; hat die Ausbildung zum Plastiker und Maler mit sich gebracht, vom Wesen und Temperament jedoch stets dem Malerischen zugeneigt. Nicht umsonst sind die Skulpturen überwiegend gefasste, lassen den Widerpart von Holz oder Gips oder Metall in der Bemalung geschehen; und nicht von ungefähr finden sich Malereien auf Metall, auch solche, die Metallfarben und Blattgold einbeziehen, Coloristiken von geradezu emaillehaften Glanz. Die Plastiken sind in der Überzahl aufstrebende Stelen von fast Floraleer Eleganz und Geschmeidigkeit; da, wo sie sich aber figürlich äußern, entbergen einen Wesentlichen Einfluss, den der überlängten Gestalten Giaccomettis. Die Beschäftigung mit der Plastik hat ihm nach eigenem Bekunden eine konsequente Arbeitshaltung aufgeprägt, das dialogische Angehen an das Werkstück, das sich, ohne Vorstudien und Skizzierung unter der Hand selbst weiterbildet, auch das kritische Zurücktreten, das Effekte um ihrer selbst Willen eingesetzt nicht gelten lassen kann und will. So steht die Genese ganz im Gegensatz zur scheinbaren Leichtigkeit und Unmittelbarkeit ihres Seins, dauert zuweilen über Jahre an, schlägt sich in Schichten nieder, Sedimenten, die zugleich Korrespondenz sind zur Lebensspur und Situation. Die Malerei weist eine deutlichere Vielartigkeit auf, auch deutlicher Entwicklungslinien, als die plastischen Werke. Herb die früheren, tumultarisch oft, aufgeworfen im Duktus, dramatische Topographie, nicht zwingend erkennbare Landschaften, doch deutlichste Anmutung davon, glutvoll - gebrochen in ihren Farbigkeiten. Da schon äußert sich, was die späteren ausmacht: das Vermögen, alles gleichsam an die richtigste Stelle zu setzen, der schwungvoll - flammende Pinselzug, der stete Wechsel von Konkretion und Diffundieren, das deutlich Sichtbare des Auftrags, der sich den Absichten noch zufügt: Gerinnung und Verfließen, Verläufe und Lasur, Trocknung, Craquelé. Mit zunehmendem Fortschreiten verknappt sich das Vokabular und wird lakonisch : weg von gegenständlichen Bezügen, auch wenn sich gewiss das eine oder andere darin wiedererkennen ließe. Nahe den Farbfeldern und farbigen Rhapsodien Delauneys, Max Bills, Kandinskis. Was nun aber auf den Flächen spielt, mag durchaus geometrisch sein, Kreisrundung, Rechteck, Quadratur und Raster, wiederkehrender Rapport und Blöcke, Bögen, Strahlen, Fächer, Kreissegmente, mag schlängeln, in geschweiften Linien die Gänze umfassen, teilen und erwidern. Ornament sein, dekorativ im besten Sinne: Schmückendes ist ein Ausdruck feierlichen Wesens. In vielen Kompositionen drückt sich ein bipolares Prinzip aus: Hie Setzung, da Gegengewicht, sie dürfen übertragen durchaus als solche von Lebensumständen verstanden werden: "Balance", wo das Gleichgewicht gehalten ist, "Verbindungen", die so für Schaltkreise wie getuschte Zeichen wie Lebenslinien stehen können. Die Titel ohnehin fügen sich im Nachhinein oder währenddessen, nehmen dann durchaus Einfluss auf den weiteren Gang der Hervorbringung und wäre letzten Endes nicht zu entscheiden, was hervorrief, was angeregt war. Und was die Bilder zeigen, darf durchaus im beschriebenen Sinne symbolisch sein, muss sich doch deswegen nicht erklären; ja können doch die auslösenden Momente ganz aus der biographischen Anekdote rühren. Wie etwa aus dem Erlebnis des Posaunisten Lindberg im Konzert und den Bewegungen, die er mit seinem Instrument in die Luft gezeichnet hatte. Polarität macht auch die Farbgebung aus: Helligkeit gegen Tiefe, überfließend Komplementäres; waren die früheren noch getrübt, so diese jetzt reich an strahlenden Klängen, den Spektralfarben, unvermischt, es sei denn in ihrem transluziden Durchklingen. Ein Feuerwerk, Kaskaden von Tönen, kein Schwarz, sieht man vom seltenen Einsatz der Zeichenkohle ab, keine erdigen, wohl Aufhellung nach Weiß. Farbe aber löst beim Betrachter Empfindungen aus, die zwar - keine zwei Menschen sehen gleich - im Letzten subjektiv sein müssen, über die die Wahrnehmungspsychologie sich aber völlig einig ist; sie können niederdrücken, doch auch: erheben, befriedigen, beglücken. Und nicht wenige dieser Werke scheinen fast Studien dessen zu werden, was die Klänge alleine vermögen, Farbräume, Farbräusche. Eine Malerei aus Lustempfinden, spielerisch ja, aber auf eine sehr existentiell - vitale Weise. Oft auf der Grenze zwischen dem, was Bild ausmacht, was reines Klingen wäre, entscheiden sie die Sache doch ein jedes Mal für sich. Eines heißt "Das große Abenteuer" - das ist die Malerei, das wird sie immer bleiben.

Gerhard van der Grinten